Zu laut, zu viele Menschen, langweilige Wiederholungen – Schule ist für viele autistische Kinder anstrengend.
Autismus in der Schule ist daher häufig eine Herausforderung. Häufig stellt sich die Frage, ob autistische Kinder in der Regelschule gut und gesund lernen können. Mit den richtigen Anpassungen können Eltern, Lehrkräfte und Schulen häufig dafür sorgen, dass ein Schulbesuch für alle angenehmer, stressfreier und erfolgreicher wird.
Hinweis: Es gibt Regelungen, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein können. Wir beziehen uns hier auf Schulen in Schleswig-Holstein.
Wie gelingt die Inklusion bei Autismus in der Schule?
Da jede autistische Person ihre eigene Mischung an Stärken und Herausforderungen hat, sollte immer sehr individuell auf die Bedürfnisse geschaut werden. Einigen reichen kleine Anpassungen wie ein Wackelkissen und ein Timer, andere benötigen eine enge Unterstützung durch eine Schulbegleitung. Wiederum andere brauchen einen ruhigen Ort mit deutlich weniger Personen – das kann eine Beschulung in Kleingruppen, in einem eigenen Raum innerhalb der Schule oder eine Webschule von zu Hause aus sein.
Inklusion kann für jede autistische Person anders aussehen und bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie am Unterricht in einem Klassenverband einer Regelschule teilnehmen muss.
Autistische Schüler*innen haben ein Recht auf einen Nachteilsausgleich. In diesem Nachteilsausgleich wird schriftlich festgehalten, welche Anpassungen umgesetzt werden sollen.
Was viele autistische Menschen gemeinsam haben ist beispielsweise eine andere Reizverarbeitung, die schnell zu Reizüberflutung (Overload) führt. In diesem Zustand ist die Person nicht mehr aufnahmefähig.
Daher sind reizreduzierende Maßnahmen fast immer hilfreich, beispielsweise:
- Gehörschutz
- Sichtschutz (z.B. Aufsteller für Tische)
- Gardinen/Rollos, damit die Sonne nicht blendet
- Schirmmützen und Sonnenbrillen
- starke Gerüche vermeiden – beispielsweise Schulbegleitung bitten, auf Parfüm zu verzichten
Andererseits kann auch ein fehlen von Reizen zu einer Unterstimulation führen, die sich dann beispielsweise dadurch zeigt, dass das Kind mit dem Stuhl kippelt, auf Stiften kaut und gezielt nach Reizen sucht. Auch in diesem Zustand fällt das Aufnehmen von Lehrstoff schwer. Es sollte also immer die richtige Mischung gesucht werden. Helfen können hier zum Beispiel:
- Wackel-Kissen auf dem Stuhl oder unter den Füßen bieten Bewegung im Sitzen
- Das Kind kaut auf Stiften? Eine Kaukette oder Aufsatz auf Stiften sind eine Alternative
- Ein Armband mit Perlen oder ein Haargummi am Handgelenk zum Zupfen
- leise Fidget-Toys
Die Verarbeitung von gesprochener Sprache kann für viele autistische Menschen herausfordernd sein, hier helfen
- Bilder zur Erklärung
- Aufteilen von Aufgaben in kleinere Teilschritte
- Aufgabenstellung in schriftlicher Form
Andersherum gibt es aber auch autistische Personen, die Probleme mit schriftlichen Texten haben und denen es helfen kann, etwas vorzulesen, was ansonsten nur in schriftlicher Form ausgegeben wird.
Soziale Interaktionen können schnell zu Missverständnissen, Stress und sogar Ängsten führen. Neben einem gemeinsamen Kennenlernen und Verständnis füreinander, sollte es möglich gemacht werden, sich zurückziehen zu können, z.B.
- keine verpflichtende Teilnahme an Sitzkreisen, wenn über Erlebnisse vom Wochenende oder dem Urlaub erzählt wird
- Alternativen für Gruppenarbeiten anbieten
- keine verpflichtende Teilnahme an Klassenfeiern
- Pausengestaltung anpassen, zum Beispiel Aufenthalt im Klassenraum oder einem anderen ruhigen Raum ermöglichen; Start und Ende der Pausen leicht versetzt, um Gedränge zu umgehen
- Schulbeginn anpassen – vielleicht darf das Kind 10 Minuten später kommen, um nicht direkt durch volle, laute Flure gehen zu müssen (oder alternativ früher kommen und in einem ruhigen Raum abwarten, bis sich der Ansturm gelegt hat)
Dies sind nur Beispiele, die mit Lehrkräften und Schule besprochen werden können. Es lohnt sich, nach kreativen Lösungen zu suchen. Und natürlich gilt immer: Hört auf die autistischen Schüler*innen und ermutigt sie zu unkonventionellen Vorschläge und Ideen.
Wie finde ich die richtige Schulbegleitung für Autist*innen?
Es gibt Träger, die speziell auf Schulbegleitung für autistische Personen spezialisiert sind (beispielsweise Konfetti im Dialog in Itzehoe). Die Träger versuchen in der Regel eine geeignete Schulbegleitung zu finden. Bei einem jungen Grundschulkind ist vielleicht eine eher ältere, “mütterliche” oder “väterliche” Schulbegleitung genau richtig, zu der das Kind Vertrauen fassen kann. Bei einem Teenager mitten in der Pubertät ist vielleicht eine jüngere Schulbegleitung passender, die als weniger “uncool” angesehen wird und dadurch ein besseres Vertrauensverhältnis möglich wird.
Wenn dieses Vertrauensverhältnis sich auch nach einer längeren Gewöhnungsphase nicht einstellt und es zu Konflikten kommt, sollte ein klärendes Gespräch stattfinden und mit dem Träger beraten werden, ob ein Wechsel der Schulbegleitung besser wäre.
Wie können Klassenräume inklusiv und autismusfreundlich gestaltet werden?
Für eine gelungene Inklusion im Klassenzimmer gibt es viele Möglichkeiten und Tipps, von denen nicht nur autistische Kinder profitieren, sondern meistens alle. Die Lehrerin und Autorin Saskia Niechzial (https://www.instagram.com/liniert.kariert/) gibt zum Beispiel viele Einblicke und Tipps, wie sie ihren Unterricht und ihre Räume inklusiv gestaltet (https://www.instagram.com/p/Cxdi756MR5K/). Das können andere Anordnungen der Tische und Stühle sein, Fidget Toys im Sitzkreis oder auch Ersatzmaterialien für Kinder, die häufiger etwas vergessen.
Grundsätzlich sind sichtbare Timer und bildliche Darstellung für viele Kinder eine Hilfe. Eine Rückzugsecke kann ein wichtiger Ruheort werden.
Warum sind Rückzugsorte in der Schule so wichtig bei Autismus?
Autistische Menschen haben meistens ein sehr hohes Stresslevel, sowohl durch permanenten Reizüberflutung als auch durch die Interaktion mit anderen Menschen und/oder Ängste.
Rückzugsorte innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers sollten daher zum Standard gehören. Innerhalb der Klasse kann eine kurze Auszeit auf einem gemütlichen Sitzsack helfen, wieder Kraft zu sammeln. Auch eine kurze Bewegungspause kann eine gute Möglichkeit sein, um Stress abzubauen. Manchmal reicht es schon, kurz vom Platz aufzustehen und etwas zum Mülleimer zu bringen, die Tafel zu wischen oder die Blumen auf der Fensterbank zu gießen.
Wenn die Belastung schon größer ist oder ein Overload droht, sollte eine Auszeit in einer ruhigen Umgebung ermöglicht werden – das könnte die Schulbücherei sein, Räumlichkeiten der Nachmittagsbetreuung, ein Snoezelraum oder auch ein spezieller Raum für Autist*nnen, wie ihn einige Schule bereits haben.
Wer kann bei Schulproblemen von Autist*innen helfen?
Je nachdem, welches Netzwerk an Hilfen bereits besteht gibt es viele Möglichkeiten.
Im Idealfall ist zuerst immer ein Gespräch mit der Klassenlehrkraft sinnvoll und wenn vorhanden mit der Schulbegleitung.
Darüber hinaus können folgende Anlaufstellen möglich sein:
- Vertrauenslehrkraft
- Schulsozialarbeiter*in
- Schulpsychologischer Dienst
- Schulleitung
- Ansprechperson des Landesförderzentrum für Autistisches Verhalten
- Träger der Schulbegleitung
- Therapeutin für autismusspezifische Förderung (wenn vorhanden)
- Austausch mit anderen Familien über Gesprächskreise oder auch über unseren Verein Autismus Initiative Steinburg
Schulabstinenz: Was tun wenn Autist*innen nicht zur Schule gehen?
Im Idealfall sollte bereits so frühzeitig nach Lösungen gesucht werden, bevor es tatsächlich zu einer langfristigen Schulabstinenz kommt. Als Verein vermeiden wir den Begriff Schulverweigerung, weil “Verweigerung” den Anschein gibt, es wäre eine bewusste und absichtliche Entscheidung. Dies ist aber in der Regel nicht der Fall, sondern es ist eine Reaktion auf Überlastung, Ängste, Mobbing, Stress usw. Der Ort Schule wird mit vielen negativen Erfahrungen verknüpft, was Reizüberflutung, Hänseleien, Benachteiligungen, Erwartungsdruck, Unter- und Überforderung und ein Übermaß an sozialen Interaktionen beinhalten kann.
Lösungen sollten daher die Gründe berücksichtigen, die dazu führen, dass autistische Kinder nicht mehr zur Schule gehen können. Ziel sollte es nicht sein, autistische Schüler*innen wieder zum “ursprünglichen” Zustand zu bewegen, sondern Alternativen zu finden. Einige Vorschläge findest du im ersten Absatz, wie Inklusion gelingen kann.
Ein guter, regelmäßiger Austausch mit den Lehrkräften, insbesondere der Klassenlehrkraft und gegebenenfalls der Schulsozialbeiter*innen kann viel bewirken.
Wenn diese Anpassungen nicht ausreichen, gibt es auch Alternativen zur bisherigen Beschulung.
Welche Alternativen gibt es zur Regelschule für Menschen mit Autismus?
Wenn der Besuch einer Regelschule nicht (mehr) möglich ist, gibt es einige Alternativen – der Weg dorthin ist allerdings leider oft sehr mühsam.
Reduzierte Stunden und eigene Räume
Manchmal reichen auch Anpassungen wie das reduzieren der täglichen Stunden oder ein freier Tag pro Woche. Es gibt auch Autist*innen, die zu 100% mit der Schulbegleitung in einem Nebenraum arbeiten und nicht im Klassenverband unterrichtet werden.
Kleingruppen
Die Beschulung in Kleingruppen hat in der Vergangenheit gute Schulabschlüsse ermöglicht – die Finanzierung und Organisation ist allerdings mit vielen Hürden verbunden.
Homeschooling
Wenn autistische Kinder in der Regelschule nicht (mehr) teilnehmen können, kann auch die Beschulung zu Hause eine Alternative sein. Homeschooling bei Autismus ist allerdings auch mit vielen Herausforderungen verbunden von der Genehmigung bis zur Umsetzung.
Webschule
Digitale Schulangebote können eine gute Alternative sein, da sich die autistischen Schüler*innen zu Hause in vertrauter, reizarmer Umgebung aufhalten können. Auch die digitale Kommunikation ist häufiger weniger überfordernd, weil sie häufig schriftlich ist und es klarere Regeln gibt.
Wo können sich Lehrkräfte zum Thema Autismus informieren?
Lehrkräfte und Schulen zeigen häufig ein großes Interesse, werden im Studium aber noch zu wenig zum Thema Autismus ausgebildet.
Schulungen bietet beispielsweise das IQSH über das Landesförderzentrum für Autistisches Verhalten in Schleswig-Holstein an, aber auch regionale Träger wie Konfetti im Dialog in Itzehoe bieten Unterstützung an.
Als Initiative betroffener Familien bieten wir gerne an, bei der Suche nach geeigneten Angeboten zu helfen oder selbst aktiv zu werden. Unser Ziel ist es, mehr Inklusion an Schulen zu fördern.
Für Lehrkräfte und Schule haben wir auch in unserer Rubrik „Links und Downloads“ einen Abschnitt. Dort gibt es Beispiele für Instagram-Accounts von Lehrkräften, die speziell zum Thema Autismus und Schule aufklären. Von Lehrkräften für Lehrkräfte.